Die Lebensläufe der Bach-Brüder sind geprägt von einer Zeit der musikalischen wie gesellschaftlichen Umbrüche: Ein neues künstlerisch-politisches Selbstverständnis bahnt sich an, zugleich werden schon in den letzten Lebensjahrzehnten des Vaters die musikalischen Gestaltungskonventionen immer weiter verändert. Allmählich nähert sich die Welt der Wiener Klassik Hand in Hand mit großen Revolutionen verschiedener Art. In den unterschiedlichen Musikkulturen der Zeit behaupten sich besonders vier Bach-Geschwister: Dank der väterlichen Schule, aber auch dank individueller Schaffensansätze ist ihnen ein breites Renommee und mitunter ein Nachhall bis weit über das Jahrhundert hinaus vergönnt.
Auf den folgenden Unterseiten finden Sie neben den Portraits und Lebensläufen unsere Repertoireempfehlungen.
Hier arbeiten wir als Akademie daran, Ihnen in den kommenden Jahren eine nach und nach wachsende Plattform und Bibliothek zum unerschöpflichen Reichtum der Sturm-und Drang Musik der 4 Bach-Brüder mit herausragenden aktuellen Aufnahmen präsentieren zu können.
Der am 22. November 1710 in Weimar geborene Wilhelm Friedemann Bach ist der älteste Sohn Johann Sebastian Bachs. Er erhielt eine umfangreiche Schulausbildung, welche von der lutherischen Lateinschule in Köthen (ab 1717) über die Leipziger Thomasschule (ab 1723) bis hin zur Leipziger Universität reichte, an der er seit 1729 neben Jura auch Philosophie und Mathematik studierte.
Um 1727 nahm er Geigenunterricht bei Johann Gottlieb Graun, sechs Jahre später trat er die Organistenstelle der Sophienkirche in Dresden an. Seine ersten Kompositionsversuche reichen jedoch in seine Kindheit zurück: Schon früh erhielt er regen Musikunterricht durch den Vater, sodass er bereits mit zehn Jahren in der Lage war, das Clavier-Büchlein vor Wilhelm Friedemann Bach anzufertigen, welches Eintragungen bis 1725/26 enthält. Während dieser Jahre (1724–1726) ist er auch als Schreiber der Kantatenstimmen seines Vaters nachgewiesen.
Den Beinamen »Hallescher Bach« verdankte er seiner Entscheidung, im April 1746 das Amt des Musikdirektors und Organist in der Liebfrauenkirche zu Halle anzunehmen – eine Stelle, die in vieler Hinsicht der des Vaters in Leipzig entsprach und wo er auch einige dessen Kantaten aufführte. Ebenso wie in Dresden, wo Johann Gottlieb Goldberg zu seinen Schülern gehörte, hatte Wilhelm Friedemann auch in Halle zu unterrichten; darüber hinaus unterlag ihm die Leitung des Stadtsingechores.
Mit seiner ersten Frau Dorothea Elisabeth Georgi hatte er drei Kinder, von denen aber lediglich seine Tochter Friederica Sophia das Erwachsenenalter erreichte, Wilhelm Adolf und Gotthilf Wilhelm verstarben bereits im Kindesalter.
Im Jahre 1763 erreichte Wilhelm Friedemann Bach das Angebot, in Hessen-Darmstadt die Nachfolge Christoph Graupners als Kapellmeister anzutreten. Obwohl er sich dagegen entschied und in Halle blieb, durfte er aber dennoch den Titel »Hessen-Darmstädtischer Kapellmeister von Haus aus« führen. Zunächst gereichte ihm sein Improvisationstalent zu Ruhm und Ehre – auch innerhalb seiner Familie. So ist der Ausspruch seines Bruders Carl Philipp Emanuel überliefert, Wilhelm Friedemann hätte den Vater eher ersetzen können, als alle anderen seiner Kinder zusammen. Tatsächlich stand er in der Reihe der Bach-Söhne stilistisch »in der Originalität seiner Gedanken seinem Vater am nächsten«, was sicherlich auch daraus resultierte, dass Wilhelm Friedemann als einziger seiner Geschwister noch zwischen 1736 und 1739 mit dem Vater anspruchsvolle Kontrapunktübungen durchführte und satztechnische Problemstellungen besprach.
Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – gab der in Halle immer unzufriedener werdende Künstler 1764 auch seine dortige Profession auf. Der Wunsch, sich seinen Lebensunterhalt seitdem ohne feste Anstellung durch Konzerte, Unterricht und Kompositionen zu verdienen führte jedoch dazu, dass sich bereits nach kurzer Zeit seine finanzielle Situation beträchtlich verschlechterte. Seine so gewonnene Freiheit nutzte er für zahlreiche Ortswechsel. Er zog 1770 nach Braunschweig, 1774 nach Berlin und besuchte Johann Nikolaus Forkel in Göttingen. Es gelang ihm allerdings nicht, erneut Fuß zu fassen: Vergeblich bewarb sich Wilhelm Friedemann in Braunschweig und Wolfenbüttel als Organist. Somit zählt der Komponist als einer der Pioniere derer, die als freischaffende Musiker zu leben versuchten – wenn auch nicht aus freier Entscheidung. Die sozialen Voraussetzungen für das freie Künstlertum standen zu jener Zeit in Deutschland noch ganz am Anfang. Für Bach bedeutete das, in eine wirtschaftliche Schieflage zu geraten, aus der er sich nicht befreien konnte. Einen Hoffnungsschimmer sah er in den Jahren 1774 bis 1776, als er in Berlin zahlreiche von Erfolg gekrönte Orgelkonzerte geben konnte, die maßgeblich zu seinem exzellenten Ruf beitrugen, und ihm Prinzessin Anna Amalia, die Schwester des Preußenkönigs Friedrich II., ihre Unterstützung zusagte. In der Hoffnung, eine feste Anstellung am Hof zu erhalten, soll er sogar versucht haben, gegen Johann Philipp Kirnberger zu intrigieren, dem damaligen preußischen Kapellmeister und Anna Amalias Kompositionslehrer. Dieser Versuch, Kirnberger aus seinem Amt zu drängen, führte jedoch dazu, dass ihm die von der Prinzessin gewährte finanzielle Unterstützung wieder entzogen wurde. Wilhelm Friedemanns Versuche, die konservativen musikalischen Vorlieben Anna Amalias zu bedienen, stellten ihn ins Abseits seiner übrigen Zeitgenossen, sodass er - von ausbleibender Anerkennung gekennzeichnet - 1784 mit 73 Jahren in ärmlichen Verhältnissen in Berlin starb. An der Stelle seines Grabes auf dem Luisenstädtischen Friedhof, welches durch dessen Einebnung nach dem Zweiten Weltkrieg verloren ist, erinnert heute eine Stele mit Porträt an Wilhelm Friedemann Bach.
Nach seinem Tode litt der Name des Künstlers unter dem einseitigen Bild, das viele seiner Zeitgenossen während seiner letzten Lebensjahre von ihm hatten. Starrer Künstlerstolz, Zerstreutheit, Streitlust und Trunkenheit werden ihm 1858 in Albert Emil Brachvogels Roman Wilhelm Friedemann Bach unterstellt; frei erfundene Vorwürfe, unter denen der Ruf des Komponisten noch lange Zeit zu leiden hatte. Erst die Wiederentdeckung eines Großteils seiner Werke, die als Teil des verschollen geglaubten Archivs der Sing-Akademie zu Berlin 1999 von Christoph Wolff in Kiew gefunden wurde, konnte die Aufarbeitung der Werke Bachs und damit einer fundierteren Beschäftigung mit dem Komponisten signifikant voranbringen.
Zum 300. Geburtstag des ältesten Sohns Johann Sebastians erschien 2010 eine elfbändige wissenschaftlich-kritische Gesamtausgabe aller überlieferten Werke von Wilhelm Friedemann Bach. 2012 erschien das neue thematisch-systematische Werkverzeichnis, welches das bisherige Verzeichnis nach Martin Falck ablöst.
Quelle: Bach-Archiv Leipzig
Youtube Hörbeispiele:
Cantata "Erzittert und fallet" F 83 | Rheinische Kantorei & Das Kleine Konzert | Hermann Max (conductor) Youtube Link
Sinfonia for strings in F major "Dissonant", F. 67 | Il Giardino Armonico | Giovanni Antonini (conductor) Youtube Link
Fantasia in E minor FK 21 for harpsichord | Leon Berben (harpsichord) Youtube Link
Kantaten I | Bach-Chor Mainz | L'arpa festante | Ralf Otto (conductor) Youtube Link
Sämtliche Orgelwerke | Friedhelm Flamme (organ) Youtube Link
Carl Philipp Emanuel Bach, der zweite Sohn Johann Sebastian Bachs und dessen erster Frau Maria Barbara, wurde am 8. März 1714 in Weimar geboren. Einer seiner Taufpaten war Georg Philipp Telemann. Nach dem Umzug der Familie 1723 nach Leipzig, wo sein Vater die Stelle des Thomaskantors antrat, besuchte Carl Philipp Emanuel die Thomasschule. Seine musikalische Ausbildung aber erhielt er nach eigenen Aussagen allein durch seinen Vater: In der Composition und im Clavierspielen habe ich nie einen anderen Lehrmeister gehabt als meinen Vater. 1731 wurde er als Student der Jurisprudenz an der Universität Leipzig immatrikuliert. 1734 wechselte er an die Universität von Frankfurt/Oder. Dort betätigte er sich außerdem als Cembalist, Cembalolehrer und Dirigent. Auch sind seine ersten Kompositionen in diese Zeit zu datieren. Allerdings schien Philipp Emanuel später nicht mehr viel von diesen ersten Versuchen zu halten.
1738 berief der damalige preußische Kronprinz Friedrich Bach als Cembalist in die Kapelle nach Ruppin. Nachdem der Kronprinz 1740 den Thron bestieg, wurde Bach 1741 als Konzertcembalist in der Hofkapelle fest angestellt. Am Hof gab er auch Klavierunterricht, unter anderem dem jungen Herzog Carl Eugen von Württemberg, dem er auch seine Sechs Württembergischen Sonaten widmete. Zwei Jahre zuvor hatte er bereits seine Sechs Preußischen Sonaten Friedrich dem Großen zugeeignet. Diese Sonaten gelten als die wichtigsten Zeugnisse der neuen Stilbildung auf dem Gebiet der Klaviersonate. In den 28 Jahren seines Dienstes am preußischen Hof wurde er einer der bekanntesten »Clavieristen« Europas. Für das Cembalo schrieb er mehr als 100 Sonaten und Solowerke, darunter Die Sammlung mit veränderten Reprisen und die Sechs Sammlungen der Sonaten für Kenner und Liebhaber. Aus dieser Zeit, in der er auch der »Berliner Bach« genannt wurde, stammen zudem u. a. ein Magnificat (1749), drei Liederbände (die Geistliche[n] Oden und Lieder mit Melodien nach Texten von Christian Fürchtegott Gellert), mehrere Sinfonien und Konzerte, einige weltliche Kantaten und mehrere Gelegenheitsstücke. 1753 erschien Bachs Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen, mit Exempeln und 18 Probestücken in 6 Sonaten erläutert, welches zum wichtigsten Lehrbuch für das Klavierspiel und den Generalbass seiner Zeit wurde. Zusammen mit der Flötenschule seiner Zeitgenossen Johann Joachim Quantz und der Violinschule von Leopold Mozart ist es eines der wichtigsten Dokumente über das musikalische Denken und den musikalischen Vortrag im 18. Jahrhundert.
In der Zeit seines Dienstes beim preußischen König verkehrte Bach in den musikalischen Kreisen der Prinzessin Anna Amalia von Preußen und deren Lehrer Johann Philipp Kirnberger wie auch im literarischen Berlin. Unter anderem war er mit Gotthold Ephraim Lessing, Karl Wilhelm Ramler und Johann Wilhelm Ludwig Gleim bekannt.
1744 heiratete Bach Johanna Maria Dannemann, die Tochter eines Berliner Weinhändlers. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor – eine Tochter, Anna Carolina Philippina Bach, und zwei Söhne: Johann August Bach war in Hamburg als Jurist tätig, und Johann Sebastian, der später als Johann Samuel bekannt wurde und Kunstmaler war.
Nachdem Carl Philipp Emanuels Bewerbung als Nachfolger seines Vaters im Leipziger Thomaskantorat gescheitert war, übernahm er 1768 das Amt seines verstorbenen Paten Georg Philipp Telemann als städtischer Musikdirektor und Kantor am Johanneum in Hamburg. Mit diesem Amt war für Bach eine ungeheure Arbeitslast verbunden: Er war für jährlich etwa 200 Aufführungen an den fünf Hauptkirchen verantwortlich und hatte zudem für Anlässe verschiedenster Art die Musik zu komponieren. Darüber hinaus veranstaltete er öffentliche Konzerte, wie sie bereits von Telemann in Frankfurt / a.M. und in Hamburg organisiert worden waren. Bach selbst trat bei diesen Konzerten häufig als Solist auf dem Cembalo oder Clavichord auf. Auch brachte er Oratorien von Georg Friedrich Händel, Telemann, Johann Gottlieb Graun, Carl Heinrich Graun, Joseph Haydn und eigene Kompositionen zur Aufführung. So wurde Hamburg erneut, wie schon unter Telemann, zu einem wichtigen Musikzentrum.
Wie bereits in Berlin war Bach auch in Hamburg mit vielen Künstlern in Kontakt und pflegte den geselligen Austausch mit Dichtern wie Friedrich Gottlieb Klopstock, Heinrich Wilhelm von Gerstenberg, Johann Heinrich Voss und Matthias Claudius, mit denen er sich über die Sing-Poesie und das redende Prinzip in der Musik austauschte.
Als hoch geachteter und verehrter Komponist, dessen Berühmtheit die seines Vaters bei weitem in den Schatten stellte, verstarb Carl Philipp Emanuel Bach am 14. Dezember 1788 in Hamburg. Er war der bedeutendste Komponist der Epoche des sogenannten empfindsamen Stils und hatte einen prägenden Einfluss auf die folgende Komponistengeneration bis hin zu Haydn, Mozart und Beethoven.
Eine Neuauflage des Werkverzeichnisses wird seit 2014, dem 300. Geburtstages von Carl Philipp vom Bach-Archiv Leipzig erstellt. Daneben werden die Werkverzeichnisse von Alfred Wotquenne (1905) und Eugene Helm (1989) verwendet.
Quelle: Bach-Archiv Leipzig
Youtube Hörbeispiele:
Magnificat Wq 215 (1779) | | CPE-Bach-Akademie Hamburg | Hansjörg Albrecht (conductor & harpsichord) Youtube Link
Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu Wq 240 | CPE-Bach-Akademie Hamburg | Hansjörg Albrecht (concuctor & harpsichord) Youtube Link
Sonata in A-flat Major, Wq. 49/2 | Marc-André Hamelin (piano) Youtube Link
Johann Christoph Friedrich, der sogenannte »Bückeburger« Bach, wurde am 21. Juni 1732 als sechzehntes der zwanzig Kinder von Johann Sebastian in Leipzig geboren und am 23. Juni getauft. Er war Schüler an der Thomasschule und wurde von seinem Vater in Klavier, Orgel und Komposition unterrichtet. Zu seiner ersten Ausbildung trug außerdem sein Verwandter Johann Elias Bach aus Schweinfurt bei, als dieser zwischen 1737 und 1742 im Hause Bach aufgenommen wurde und dem Thomaskantor als Sekretär und Assistent diente.
Im Herbst 1749 immatrikulierte sich Johann Christoph Friedrich an der Leipziger Universität, brach sein Jurastudium aber bald darauf wieder ab; denn als sich der Tod seines Vaters abzeichnete, wurde für ihn nach einer Erwerbsstellung Ausschau gehalten und diese schließlich in Bückeburg gefunden. Ohne seine musikalische Ausbildung abgeschlossen zu haben, folgte Johann Christoph zum Jahreswechsel 1749/1750 dem Ruf des Grafen Wilhelm von Schaumburg-Lippe. Dieser war ein großer Bewunderer Friedrichs II. und hatte seit seinem Amtsantritt 1748 die Neuorganisation seines Hofstaates inklusive seines Orchesters in Angriff genommen. Als Wilhelm 1749 am preußischen Hof weilte, muss er Carl Philipp Emanuel Bach begegnet sein und die Idee vermittelt bekommen haben, auch einen der Bach-Söhne zu engagieren. Ende des Jahres 1749 ging ein entsprechendes Schreiben aus Bückeburg an Vater Bach in Leipzig. Offenbar ohne weitere Rückfragen und sicherlich hoch zufrieden darüber, seinen zweitjüngsten Sohn bis auf Weiteres versorgt zu wissen, schickte Johann Sebastian Bach den Siebzehnjährigen auf die Reise in die 6.000 Einwohner zählende Provinzstadt. Möglicherweise ist Wilhelm von Schaumburg-Lippe aber noch anderweitig auf die räumlich weit entfernte Bach-Familie aufmerksam geworden, nämlich durch seine Stiefmutter: Wilhelms Vater, Graf Albrecht Wolfgang, hatte 1730 in zweiter Ehe die Prinzessin Charlotte Friederike Amalia zu Anhalt-Köthen geheiratet, welche die Witwe von Johann Sebastian Bachs einstigem Köthener Dienstherrn Leopold war.
Johann Christoph Friedrich Bach erscheint in den Bückeburger Registern ab dem 3. Januar 1750, als er erstmals sein Gehalt von 25 Talern erhielt, welches ihm alle drei Monate ausgezahlt wurde. Im August 1750 reiste er wegen des Todes seines Vaters nach Leipzig und wurde nach seiner Rückkehr zum Hochgräflich Schaumburg-Lippischen Cammer-Musicus ernannt. Da er in den ersten Jahren am Hof noch nicht als Komponist, sondern als Cembalist angestellt war, bekleidete er zunächst nur einen mäßigen Rang in der musikalischen Hierarchie Bückeburgs. Zu jener Zeit waren dort die beiden Italiener Angelo Colonna als Konzertmeister und Giovanni Battista Serini als Kapellmeister und Komponist tätig. Johann Christoph Friedrich lernte bei ihnen den Stil der italienischen Oper und Kantate kennen und adaptierte ihn. Aus dieser stark italianisierenden Periode seines Schaffens, die sich über den Zeitraum zwischen 1750 und 1771 erstreckt, sind hauptsächlich Instrumentalwerke überliefert.
Am 8. Januar 1755 heiratete er die gleichaltrige Lucia Elisabeth Münchhausen, Tochter des Hoforganisten und Gesangsschülerin Serinis. Die Altpartien in den Kantaten und Oratorien ihres Mannes waren möglicherweise ihr zugedacht. Der Graf schenkte den Eheleuten einen Garten vor dem Mindener Tor. Bis 1772 wurden dem Paar acht Kinder geboren, von denen allerdings nur drei Töchter und ein Sohn das Kindesalter überlebten, darunter Anna Philippina Friederike, deren Nachkommenschaft bis in die heutige Zeit reicht, und Wilhelm Friedrich Ernst, der als einziger Enkel Johann Sebastian Bachs die Musikerlaufbahn wählte.
Aus unbekannten Gründen baten Serini und Colonna 1756 um ihre Entlassung, die ihnen am 15. Mai gewährt wurde. Durch den Siebenjährigen Krieg, in den Wilhelms Grafschaft auf der Seite Preußens und Englands verwickelt war, wurden die Personalangelegenheiten des Hofes nur langsam geordnet. Erst am 18. Februar 1759 wurde Johann Christoph Friedrich zum Konzertmeister ernannt, obschon er diese Funktion bereits seit dem Weggang der beiden Italiener ausübte. Er war nun Leiter der Hofkapelle, jedoch ohne Rang und Gehalt eines Kapellmeisters. Von 1768 an erhielt er bis zu seinem Lebensende jährlich 416 Taler – deutlich weniger, als Serini und Colonna bekommen hatten. Hinzu kamen zwar noch die 100 Taler, die seine Frau als Sängerin verdiente. Trotzdem musste Bach immer wieder um einen ausreichenden Lebensunterhalt kämpfen.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass Johann Christoph Friedrich sich gelegentlich nach beruflichen Alternativen umsah. Bereits 1757, als die Franzosen in Bückeburg einmarschierten und Graf Wilhelm sich für eine Weile auf das Gut Nienstedten an der Elbe zurückziehen musste, konnte Bach, der ihn begleitete, zum ersten Mal den Hamburger Raum auskundschaften. Wieder in Bückeburg, bewarb er sich um die vakante Organistenstelle an der Hauptkirche der damals dänischen Stadt Altona und wurde tatsächlich dorthin berufen. Weil aber einerseits das Amt in Altona nicht sonderlich attraktiv gewesen sein kann und andererseits Wilhelm mit einer Gehaltserhöhung lockte und zugleich drohte, die Hofkapelle aufzulösen, sagte Bach schließlich ab.
Als 1767 Georg Philipp Telemann in Hamburg starb, bemühte sich Johann Christoph Friedrich um die frei gewordene Stelle als städtischer Musikdirektor. Bei der Vergabe des angesehenen Kantorats wurde ihm jedoch sein älterer und bekannterer Halbbruder Carl Philipp Emanuel vorgezogen. Diese Entscheidung führte aber nicht zu einer Trübung der geschwisterlichen Beziehungen, sondern es entwickelte sich zwischen den Brüdern ein eher verstärkter Kontakt und Austausch von Anregungen und Werken. Neben vielen Kammermusikwerken und Klaviermusik komponierte er um 1769 seine ersten Oratorien: Die Pilgrime auf Golgatha von Friedrich Wilhelm Zachariae und Der Tod Jesu in der zweiten Textfassung von Karl Wilhelm Ramler (1760), dessen Erstfassung schon Graun (1755) und Telemann (1756) erfolgreich vertont hatten. Aus der Zeit 1765 bis ungefähr 1771/1772 stammen Bachs erste neun Sinfonien; zehn weitere entstanden in einer späteren Phase zwischen 1792 und 1794.
Während seiner ersten zwei Jahrzehnte hatte sich Bach bei seinen offiziellen Kompositionen nach der Vorliebe seines Dienstherren für italienische Musik zu richten. Von etwa 1770 an aber prägte der Stil der »Empfindsamkeit« zunehmend die am Hof gepflegte Musik. Die Berufung Johann Gottfried Herders als Hofprediger und Konsistorialrat nach Bückeburg im Jahr 1771 führte zu fruchtbarer Zusammenarbeit und einer Freundschaft zwischen dem Dichter und dem Komponisten. Aus ihrem gemeinsamen Schaffen stammen die Oratorien Die Kindheit Jesu und Die Auferweckung des Lazarus sowie einige Kantaten und zwei dramatische Werke (Brutus und Philoktetes), wobei der kritische Herder offenbar in der engen Zusammenarbeit mit Bach seine musikästhetischen Ansichten in die Praxis umgesetzt sah. Diese »empfindsame« Phase, die für Bach wohl die geistig anregendste Zeit in Bückeburg war, endete 1776 mit der Berufung Herders nach Weimar, die insbesondere auf Goethes Betreiben hin zustande gekommen war.
Im Frühsommer 1778 nahm Bach für drei Monate Urlaub, um gemeinsam mit seinem Sohn – über eine Zwischenstation in Hamburg – nach London zu seinem Bruder Johann Christian zu reisen, wo der junge Wilhelm Friedrich Ernst seine weitere Ausbildung erhalten sollte. Von Johann Christians dem italienischen Buffo-Ton nahestehender Musik ließ sich der Bückeburger Bach nachhaltig anregen. Alle seine von 1778 an entstandenen Werke (Sinfonien, Kammermusik, Klavierkonzerte und -sonaten) lassen den Einfluss Johann Christian Bachs deutlich erkennen. In den Konzerten seines Bruders lernte Johann Christoph Friedrich außerdem die Musik Mozarts und Glucks kennen, die ihn von da an stark interessieren und beeinflussen sollte.
Johann Christoph Friedrich Bach führte die Bückeburger Hofkapelle zu solch großem Ansehen, dass ihr Johann Nikolaus Forkel 1782 unter den besten Orchestern in Deutschland den vierten Rang einräumte. 1787/88 gab Bach eine Auswahl an leichten Klavier- und Kammermusikwerken sowie Klavierauszügen weltlicher Kantaten in vier Heften unter dem Titel Musikalische Nebenstunden heraus. Doch sein Bestreben, über den Umweg von Druckausgaben so bekannt zu werden, wie sein Halbbruder Carl Philipp Emanuel, blieb erfolglos.
Bachs letzte zwei Lebensjahre wurden besonders durch die Anwesenheit des jungen böhmischen Musikers Franz Christoph Neubauer erschwert, den er als Rivalen betrachtete. Extrovertiert und genial in seinem Auftreten fand Neubauer sogleich die Aufmerksamkeit der Fürstin Juliane, die seit dem Tod ihres Mannes 1787 für ihren noch minderjährigen Sohn Georg Wilhelm die Regierungsgeschäfte führte. Schon bald stellte sie ihm die Hofkapelle zur Verfügung, damit er seine eigenen Kompositionen aufführen konnte. Neubauer verstand es, diese Chance zu nutzen – er war die Sensation des Hofes und der Stadtbevölkerung. Johann Christoph Friedrich Bach fühlte es aufs Schmerzlichste, dass er für den Fürstenhof, dem er sein Lebenswerk gewidmet und mehr als vier Jahrzehnte treu gedient hatte, entbehrlich geworden war. Gedemütigt starb er am 26. Januar 1795, nachdem ihn ein hitziges Brustfieber ergriff[en] hatte, wie es im Nekrolog heißt. Auf dem Jetenburger Friedhof in Bückeburg fand er seine letzte Ruhestätte.
Im Jahr 2013 erschien das vom Bach-Archiv Leipzig erarbeitete neue Werkverzeichnis des Komponisten.
Quelle: Bach-Archiv Leipzig
Youtube Hörbeispiele:
Klavierkonzert 'Concerto Grosso' in E flat Major for pianoforte and orchestra (1792) | Christine Schornsheim (fortepiano) & Freiburg Baroque Orchestra | Gottfried von der Goltz (conductor) Youtube Link
Sinfonia in D minor WFV I:3 | Concerto Köln Youtube Link
Johann Christian Bach wurde 1735 als jüngster Sohn Johann Sebastian Bachs in Leipzig geboren. Schon früh erhielt er Klavier- und Musiktheorieunterricht von seinem Vater. Dieser starb, als Johann Christian noch keine 15 Jahre alt war, sodass die weitere Erziehung und Ausbildung in Komposition und Klavierspiel von seinem älteren Halbbruder Carl Philipp Emanuel in Berlin übernommen wurde.
1755 reiste Johann Christian nach Italien, wo er in Graf Agostino Litta einen einflussreichen Förderer fand. In der Zeit bis 1762 lebte Bach in Mailand, unternahm aber auch Studienreisen, unter anderem zu Padre Giovanni Battista Martini nach Bologna. Martini schrieb bedeutende Lehrwerke über Musik und stand mit den namhaftesten Musikern und Gelehrten aus ganz Europa in Korrespondenz – u.a. unterrichtete er später auch Wolfgang Amadeus Mozart und Christoph Willibald Gluck. Johann Christian Bachs italienische Phase war vor allem durch die Komposition von lateinischer Kirchenmusik geprägt. Zudem konvertierte er zum Katholizismus, vermutlich um seine Chancen auf eine Festanstellung zu erhöhen, was sein Verhältnis zu Carl Philipp Emanuel nachhaltig stark belastete. Ab 1760 war er zweiter Organist des Mailänder Doms und 1761 wurde er Kapellmeister der Kirche Santa Maria in Caravaggio. Doch widmete sich Bach in Italien nicht nur der geistlichen Musik: Die Oper wurde zu einer der wichtigsten Gattungen in seinem Schaffen. Schon früh hatte er begonnen, Arien und Ouvertüren für fremde Werke zu komponieren und so waren es die Opern, nicht die Kirchenmusik, durch die er schnell an Ansehen gewann. Bachs erste Oper Artasere wurde 1760 in Turin uraufgeführt, seine zweite und bekannteste Oper Catone in Utica 1761 in Neapel.
Ab Herbst 1762 hielt sich Johann Christian in London auf, denn er hatte den Auftrag angenommen, für das King’s Theatre zwei Opern zu komponieren. Obwohl er bei seinen Vorgesetzten am Mailänder Dom nur eine einjährige Freistellung beantragt hatte, entschloss er sich 1763 nicht nach Italien zurückzukehren. Zwar wurde sein Vertrag am Theater nicht sofort verlängert, doch konnte er sich als Musiklehrer Königin Charlottes (ihr widmete er sein 1. Klavierkonzert) und durch sein Engagement im Londoner Konzertleben einen guten Ruf erarbeiten.
Mit seinem Freund Karl Friedrich Abel organisierte Bach ab 1765 die sogenannten Bach-Abel-Konzerte, welche sie abwechselnd leiteten und in denen hauptsächlich ihre eigenen Kompositionen zur Aufführung kamen, wie zum Beispiel Bachs Sinfonien. Weiterhin engagierte sich Bach in der Society of Musicians of Great Britain mit Benefizkonzerten für ehemalige Musiker sowie deren Hinterbliebene. Außerdem schrieb er eine große Anzahl von Liedern für die Freiluft-Sommerkonzerte in den Vauxhall Gardens. Ab 1764 komponierte er wieder Opern für das King’s Theatre, die jedoch nie an den ehemaligen Erfolg anknüpfen konnten. In den Jahren 1772 und 1774 wurde er für Opernaufträge in Mannheim engagiert, wo ihm mehr Erfolg zu Teil wurde. 1779 wurde mit Amadis de Gaule seine erste französische Oper in Paris uraufgeführt. Während seines Paris-Aufenthaltes traf er auch Wolfgang Amadeus Mozart wieder. Beide hatten sich schon 1765 in London kennengelernt und schätzten einander sehr. Ebenfalls in den 1770er Jahren trat Johann Christian Bach einer Freimaurer-Loge bei und heiratete Cecilia Grassi, eine italienische Opernsängerin. Ihre Ehe blieb kinderlos.
Obwohl Bachs Musik in London beliebt war, verloren die Bach-Abel-Konzerte an Bedeutung. Seine wirtschaftliche Lage verschlechterte sich zunehmend, als sein Hausmeister mit beträchtlichen Einnahmen flüchtete. 1781 wurde Johann Christian Bach schwer krank und verstarb schließlich am 1. Januar 1782 hochverschuldet in London.
Das Werkverzeichnis zu Johann Christian Bachs Opus wurde von Ernest Warburton verfasst und erschien 1999.
Quelle: Bach-Archiv Leipzig
Youtube Hörbeispiele:
Symphony in G minor Op.6 No.6 | Concerto Köln Youtube Link
Amadis de Gaule WG 39 (Oper) | Solamente Naturali & Musica Florea | Didier Talpain (conductor) Youtube Link